CD - Renzension - Ch. Graupner "Ein Weihnachtsoratorium"

Christoph Graupner
Ein Weihnachtsoratorium

Jetzt kommen sie aus ihren Löchern. Fast ist das Graupner-Jahr 2010 (aus Anlass seines 250. Todestages) schon zu Ende, und zu diesem Jubiläum bisher enttäuschend wenig Interessantes an CD-Neuveröffentlichungen erschienen, da bringen noch kurz vor Schluss mehrere Labels äußerst Hörenswertes von dem immer noch weitgehend unentdeckten und unterbewerteten Bach- und Händel-Zeigenossen Christoph Graupner (1683 bis 1760) heraus.

Von Andreas Grabner  (Bayerischer Rundfunk 16.12.2010)
 
Bei Carus erscheint eine Einspielung mehrere Instrumentalkonzerte unter anderem durch den Fagottisten Sergio Azzolini, bei cpo bringt Das Kleine Konzert unter Leitung von Hermann Max fünf Weihnachtskantaten heraus, und zeitgleich legt Florian Heyerick, der sich seit vielen Jahren begeistert und begeisternd für Graupners Wiederentdeckung einsetzt, mit seinem Ensemble Ex Tempore und der Mannheimer Hofkapelle bei Ricercar unter dem werbe-wirksamen Titel "Ein Weihnachtsoratorium" neun weitere Kantaten Graupners zur Advents- und Weihnachtszeit vor, ebenfalls alles Ersteinspielungen, und zwischen beiden Projekten noch nicht einmal eine einzige Repertoire-Überschneidung. Was allerdings auch nicht unüberwindbar schwer gewesen sein dürfte, denn Graupner hat über 1.400 (!) Kantaten komponiert, und davon sind allein fast 200 für die weihnachtliche Festzeit bestimmt.

Musikalisch fruchtbarer mitteldeutscher Boden
Wie Bach, Händel, Telemann und Fasch stammte Graupner vom für die Musik des Abendlandes so fruchtbaren mitteldeutschen Boden: Im sächsischen Kirchberg wurde er geboren, in Leipzig an der Thomasschule musikalisch sozialisiert, in Hamburg wirkte er an der Gänsemarktoper, bis ihn 1711 der Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt nach Darmstadt holte, wo Graupner die restlichen 49 Jahre seines Lebens blieb. Nach seinem Tod wurde er vollständiger vergessen als alle seine Komponistenkollegen, und nur durch ein Ereignis spukte sein Name noch irgendwo im musikhistorischen Hinterkopf herum: Durch die Tatsache, dass ihn die Leipziger, als sie 1722 einen neuen Thomaskantor suchten, lieber haben wollten als Bach. Der kam erst zum Zuge, als Graupner in Darmstadt eine üppige Gehaltserhöhung verhandelt und den Leipzigern abgesagt hatte.


Moderner als Bach
Waren die Leipziger Ratsherren Banausen in Sachen Musik? Nein. Natürlich ist und bleibt Bach der größte Komponist aller Zeiten, aber Christoph Graupners Musik ist von einer außerordentlichen Qualität, und Graupner war seinerzeit mit Sicherheit der "modernere" Komponist: In Stücken wie dem aparten Duett "Komm, mein Freund, mein Heil, mein König" aus der Kantate "Jauchzet ihr Himmel, erfreue dich Erde" von 1753 mit seiner exquisiten Besetzung: Sopran, Tenor, Solo-Violine, Solo-Oboe, zwei Hörner, zwei Flöten, Streicher im Pizzikato und - für langsame Stücke seinerzeit vollkommen unüblich - Solo-Pauke scheint duftig-schmeichelnd schon die Vorklassik am Horizont heraufzuziehen. Doch auch sonst bietet die Doppel-CD, wenn man sich ein bißchen in Graupners in doppeltem Sinne "eigenen" Personalstil eingehört hat, eine angenehme Überraschung nach der anderen. Dabei tendiert Graupners Musik, ganz anders als die stets süffige, mitreißende etwa Händels, durchaus zur Bizarrerie, weicht dem Erwarteten oft um Haaresbreite aus, verweigert die großen Melodiebögen und gefällt sich darin, lakonische, tendenziell sperrige Motiv-Absprengsel auszuspinnen. Aber mit welcher Finesse, Dramatik und Ausdruckskraft!


Liebevolle Auswahl
Schon für die Ausgrabung, die liebevolle Auswahl und die Ersteinspielung haben Florian Heyerick und seine Künstler einen oder mehrere Preise verdient. Aber auch die Interpretation läßt, subtil, exakt und schwungvoll wie hier musiziert wird, wenig zu wünschen übrig. Wer durch Heyerick für Graupner Feuer fängt, sollte die CD des Kleinen Konzerts unter Hermann Max gleich mitnehmen: Interpretatorisch bewegt sie sich auf ähnlichem Niveau, und es wird ihm/ihr auch da keine Minute langweilig werden. Die Musikgeschichtsschreibung des deutschen Spätbarocks aber wird durch solche Veröffentlichungen auf Dauer nicht umhin kommen, Christoph Graupner als einen der großen Komponisten seiner Zeit zu würdigen, Seite an Seite mit Bach und Händel, und oft auch auf Augenhöhe.




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