Mannheimer Morgen 18. September 2007

Durch Mark und Bein
KLASSIK: Mannheimer Hofkapelle lehrt mit Kraft das Staunen

Die Violine der Konzertmeisterin Swantje Hoffmann entstand um 1750, also zu der Zeit, in der Johann Stamitz aus der Mannheimer Hofkapelle ein europaweit bewundertes Orchester formte. Diese Violine musste zwar Anpassungen an die "Moderne" über sich ergehen lassen, doch ein Geigenbauer hat sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt, so dass sie an der "Wiedergeburt der Mannheimer Hofkapelle" teilnehmen darf. Zutritt zu diesem Kreis unter Florian Heyericks Leitung haben nur historische Instrumente.

Das jüngste Mitglied ist zehn Jahre alt. Johann Stamitz hätte sicher nichts gegen den Cellisten im Kindesalter einzuwenden; schließlich holte der Gründer der Mannheimer Schule ja selbst den zwölfjährigen Christian Cannabich zu den Streichern. Die Nachfolgerinnen und Nachfolger anno 2007 tragen vorwiegend Schwarz mit rostroten Schals, Kopftüchern oder Schleifen. Zwei Tage konnten sie zusammen für die "Wiedergeburt" im ausverkauften Rittersaal des Schlosses proben. Danach löst sich das internationale Ensemble auf. Die viel beschäftigte Swantje Hoffmann zum Beispiel lehrt in Frankfurt, außerdem spielt sie im Freiburger Barockorchester und im Innsbrucker Marini-Consort.

Das kaum Erhoffte geschieht: Die zwei Tage genügen, um etwa 40 Instrumentalisten, Lehrende und Lernende, auf ein Ziel einzuschwören: Uns heutigen Zuhörern mit Wagner, Mahler und Strawinsky im Kopf begreiflich zu machen, warum die Musikwelt vor rund 250 Jahren die Mannheimer Orchester-Errungenschaften rühmte, darunter der Sachverständige Mozart. Seinem Lob verdankt Ignaz Holzbauers Oper "Günther von Schwarzburg" Unsterblichkeit. Und gerade mit den mächtigen, stämmigen Akkorden der Ouvertüre zu diesem Singspiel lehrt Heyericks Hofkapelle uns das Staunen - über eine resolute Jugendlichkeit und eine zuschlagende Wucht, die durch Mark und Bein geht.

Selbst der Musikwissenschaftler und Moderator Hartmut Becker zeigt sich betroffen von der "unwiderstehlichen, körperlichen Kraft" der Interpretation. Und er findet den Bericht des Chronisten Christian Friedrich Daniel Schubart bestätigt, der schrieb: "Kein Orchester der Welt hat es je in der Ausführung dem Mannheimer zuvorgetan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Catarakt." Auf diese Wirkung hat es der Dirigent zweifelsfrei abgesehen, wenn er die Trompeten und die Pauke links vorne platziert. Die Kontrabässe und Fagotte zieht er auch links zusammen.

Heyerick beabsichtigt eine Massierung der Bass-Stimmen, die punktgenau einsetzen und sich in der sagenhaften Disziplin der Mannheimer üben. Kleinere Konzentrations-Schwankungen fallen kaum ins Gewicht. Die lockere Moderation von Hartmut Becker heben noch zwei weitere Aspekte hervor. Zum einen den Reichtum der Instrumentenfarben in der Es-Dur-Sinfonia von Johann Stamitz sowie im Konzert für Flöte, Oboe, Fagott und Orchester von Cannabich. Zum anderen die "kulturelle Revolution", die in Werken wie Holzbauers Sinfonia mit dem Finalsatz "La tempesta del mare" (Meeressturm) rumort. Was bleibt von diesem denkwürdigen Abend, der heftig mit Beifall bedacht wird? Die Erinnerung an ein Klangabenteuer, mit dem man nun unweigerlich jede Aufführung der Kompositionen aus der Mannheimer Schule messen wird. ML

Mannheimer Morgen
18. September 2007



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