Mannheimer Morgen 28. März 2007
KLASSIK: Johannis-Kantorei singt Bachs Johannes-Passion
Das Ergebnis dieser Johannes-Passion in Mannheims Johanniskirche: Die historischen Instrumente und die Umsetzung der Aufführungspraktiken zur Bach-Zeit schieben die reflektierenden Arien und Chöre in den Vordergrund, so dass die Trauer, das Betroffensein über die Kreuzigung zum tragenden Thema der musikalischen Predigt werden. Unter der Leitung von Kantorei-Leiterin Hae-Kyung Jung beginnt der Eröffnungschor rasch fortschreitend und zielorientiert wie eine Erzählung mit bekanntem Ausgang. Der ununterbrochene Erzählfluss schafft einen unerbittlichen Sog. Der Gang nach Golgatha ist nicht aufzuhalten. Verrat und Gefangennahme wirken wie ein Vorspiel vor dem Verhör durch Pilatus.
Der fragt: "Was ist Wahrheit?" Und als ob diese Frage einen Schub von Zweifeln und Gefühlen auslösen würde, neigt sich die Grundstimmung hin zum einfühlsamen Bewerten dessen, was nun geschieht und gesagt wird. An der Orgel sitzt Florian Heyerick, der vielerlei Initiativen auf den Weg gebracht hat, um die historische Aufführungspraxis auf breiter Ebene bekannt zu machen. Er ist der Gründer der Mannheimer Hofkapelle, deren Klangfarben - teils samtig und warm, teils unbequem scharf - die Texte in ein ihnen eigenes Licht oder Dunkel hüllen, die Worte umspielen oder vertiefen.
Die Kontraste dienen nicht zur Dramatisierung der Ereignisse, sondern zur Auseinandersetzung mit dem, was unvermeidlich geschieht. Die Johanniskantorei Mannheim verbohrt sich gewissermaßen stur in die Fuge "Wir haben ein Gesetz". Der Chor reizt auch die Wirkung der Dissonanzen in "Kreuzige" und "Weg, weg mit dem" voll aus. Intonation, Dynamik und Deklamation zeugen von einer ausführlichen Schulung.
Eine ausgefeilte Gesangstechnik ist auch den Solisten zu bescheinigen. Michael Feyfar erzählt als Evangelist packend, doch ohne übertriebenen Nachdruck. Markus Lemke steigert die Bedeutungsschwere der Jesus-Worte bis hin zu der erhabenen Passage "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Der Bassist Markus Volpert verfügt über genügend Flexibilität, um einerseits die zögerliche Haltung des Pilatus begreiflich zu machen und andererseits die Arie "Mein teurer Heiland, lass dich fragen" mit einer unumstößlichen Zuversicht auszustatten. Auffallend leichtgewichtig und darum herzerfrischend die Stimmen von Christina Beckmann und Annette Wieland. ML
Mannheimer Morgen
28. März 2007